London 1976. Nach einem misslungenen

Enthüllungsartikel wird die junge Wirtschaftsjournalistin

Sienna Davis an den brasilianischen Amazonas geschickt.

Es ist ihre letzte berufliche Chance: In Manaus soll sie

über den britischen Abenteurer Sir Henry Wickham

recherchieren, der 100 Jahre zuvor mit dem Schmuggel

der begehrten Pflanzensamen das jähe Ende des

sagenhaften Kautschukbooms in Brasilien auslöste.

Bei ihren Nachforschungen stößt Sienna auf ein

Jahrzehnte zurückliegendes dunkles Geheimnis, das ihren

journalistischen Ehrgeiz weckt. Doch kann sie ihrem

amerikanischen Kollegen Snyder und dem Chef der

Indio-Behörde de Nóbrega vertrauen?

Immer mehr lüftet sich das Rätsel, immer tiefer gerät

Sienna in einen Sumpf aus Lügen und Intrigen, immer

größer wird die Gefahr, in der sie schwebt.

LESEPROBE

Sie kamen aus allen Richtungen. Das dichte Blätterwerk des Dschungels, das sie bisher geschickt vor einer Entdeckung verborgen hatte, schützte die Männer nun nicht mehr. Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht, und damit war jegliche Vorsicht gewichen.
Ein boshaftes Lächeln der Vorfreude glitt über das Gesicht ihres Anführers, eines hochgewachsenen Weißen, der eine natürliche Autorität ausstrahlte. Dann verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Der tief in seinem Blick verwurzelte Hass auf die seringeiros war unübersehbar. Bald würde er Genugtuung finden und sich an ihnen rächen können. Darauf hatte er schon viel zu lange gewartet.
Mit einer kräftigen Handbewegung schlug er das riesige fächerförmige Blatt einer Aninga-Pflanze zurück, das ihm den Weg versperrte. Nichts würde ihn mehr aufhalten, bevor er seinen schrecklichen Plan umgesetzt und die Indios bestraft hatte.
Er blieb stehen und stellte zufrieden fest, dass auch seine Begleiter anhielten und zu den Waffen griffen. Sie waren ihm treu ergeben und hatten ihn bei  seinen bisherigen Unternehmungen noch nie enttäuscht. Auch dieses Mal würde er sie nach seiner Pfeife tanzen lassen. Schließlich bezahlte er sie gut, und sie fürchteten seinen Zorn.
In weiter Ferne kreischte ein Vogel in der dunklen Nacht. Vielleicht, so überlegte der Hellhäutige, kämpfte auch dieses Tier soeben gegen einen übermächtigen Feind – und würde den Wettstreit verlieren.
Der Mann atmete tief ein. Wie er ihn verabscheute, diesen ewig modrigen Geruch des undurchdringlichen Regenwaldes, die faulige und nur schwer zu ertragende Hölle Amazoniens.  
Kurz zuckte sein Mundwinkel. Dann beobachtete er mit eiskaltem Gesichtsausdruck die gerodete Freifläche am Ufer des großen Stromes, an dessen Böschung sich das Indiodorf ausbreitete. Schwarz erhob sich der sternenklare Himmel über den strohgedeckten Dächern der primitiven Häuser, die in einem geordneten Halbkreis standen. Nur die schmale gelbe Sichel des Mondes, die bereits hoch über der Wasseroberfläche des Flusses stand, erhellte die beinahe idyllische Szene.
Die Bewohner hatten nur einige wenige Feuer inmitten des langgestreckten Versammlungsplatzes brennen lassen. Ansonsten lag die Ansiedlung wie ausgestorben vor den Angreifern. Nicht einmal ein streunender Hund war zu sehen, kein Kleinkind schrie nach der Brust seiner Mutter. Sie schienen nichts zu befürchten, sondern befanden sich in tiefem Schlaf.
Es war die Ruhe vor dem Sturm, der in Kürze über die Ansiedlung hereinbrechen sollte.
Der Weiße grinste hinterhältig. Wie unvorsichtig diese Wilden doch waren! Schon als sie sich der aldeía genähert hatten, war eine bisher ungekannte Zufriedenheit in seinem Inneren gewachsen. Unablässig hatte er sich ausgemalt, wie die verhassten Indios für ihren Wortbruch büßen würden. In wenigen Augenblicken wäre es nun soweit, und er konnte sich endlich an ihnen rächen. Niemand, und schon gar keiner dieser niederträchtigen Eingeborenen, würde ihn ungestraft hintergehen!
Schließlich waren sie selbst für diesen Überfall verantwortlich. Er hatte die faulen, nichtsnutzigen Indios oft genug gewarnt.#
Ein Knacken im Unterholz brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er sah den langen Schwanz einer Beutelratte unter einem der überhängenden Farnzweige verschwinden und setzte ihr mit der Fußspitze nach, obwohl er wusste, dass der Stoß das hässliche Tier nicht mehr treffen würde.
In dieser Nacht musste es zu Ende gebracht werden, denn lange konnte er die zermürbend mörderische Schwüle nicht mehr ertragen. Er sehnte sich zurück nach der Zivilisation, von der er schon viel zu lange getrennt war.
Die heutige Bestrafungsaktion sollte die Indianer den nötigen Respekt vor ihren Herren lehren. Fortan würden sie nie mehr auf den Gedanken kommen, ihn oder einen anderen Europäer zu betrügen. Dann wäre diese Mission zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber erfüllt, und er könnte den Dschungel, den er verabscheute, für immer hinter sich lassen.
Das aufgeregte Kreischen des Vogels verebbte auf einen Schlag. Das Tier war wohl das Opfer eines geschickten Jägers geworden. So war der Lauf der Natur. Er kannte das zur Genüge. Nur der Stärkere setzte sich in dieser unwirtlichen, menschenfeindlichen Gegend durch.
Auch die Indios würden von nun an schnell lernen, wer hier das Sagen hatte. Wenn sein Plan gelänge, dann hielte die Nachricht über das, was in Kürze an diesem fernen Ort geschehen würde, sicherlich auch die anderen Stämme davon ab, sich mit dem Feind einzulassen.
Er spuckte verächtlich auf die feuchte, mit verfaulten Blättern bedeckte Erde und gab seinen Schergen das erwartete Zeichen zum Angriff. Diese entsicherten die Gewehre und setzten sich ohne Skrupel in Bewegung. Sie wussten, was zu tun war. Alle waren erfahrene Kämpfer.
Aus dem schützenden Dunkel der Nacht fielen sie über die nichtsahnenden Dorfbewohner her, die ihnen wehrlos ausgeliefert waren. Sie durchkämmten die fensterlosen Langhäuser und zerrten jeden heraus, den sie finden konnten, sofern sie ihn nicht schon zuvor getötet hatten. Markerschütternde Schreie, die nur durch das Echo der Gewehrsalven unterbrochen wurden, hallten durch die Dunkelheit. Einige wenige, die den Verfolgern hatten entwischen können, versuchten, sich im umgebenden Dickicht zu verbergen, aber die Indios erreichten das Buschwerk nicht, sondern wurden durch gezielte Schüsse in den Rücken niedergestreckt.
Doch ihn bewegte die Todesangst der Eingeborenen nicht im geringsten. Im roten Schein der Lagerfeuer, die die Dorfbewohner zur Abwehr der wilden Tiere hatten brennen lassen, lehnte er am ausladenden Stamm eines Andirobabaumes und zündete sich langsam eine Zigarette an. Er selbst wollte sich bei diesem Angriff nicht die Hände schmutzig machen. Das hatte er früher getan, jetzt hier in der selva würden seine Handlanger alles für ihn erledigen.
Nachdem er zweimal tief inhaliert und sein ausströmender Atem kleine Rauchkringel in der Nachtluft verbreitet hatte, bemerkte er es. Schlagartig wurde  ihm bewusst, was an dem gespenstischen Schauspiel, das sich ihm hier bot, nicht stimmte: Die Männer fehlten. Nicht ein einziger Krieger hatte sich seinen  wie wild feuernden Gefolgsleuten zur Wehr gesetzt.
Wo waren die Männer geblieben? Aus den Behausungen trieben sie nur angstvoll schreiende Frauen und Kinder oder humpelnde Greise. Sein Ziel waren aber die elenden Kautschuksammler gewesen, die sich ihm entgegengestellt hatten. Sie wollte er für ihren Wortbruch bestrafen.
Schnell warf der breitschultrige Mann die noch glimmende Zigarette in den träge dahindümpelnden Fluss und näherte sich raschen Schrittes den gedungenen Söldnern, die seine Ahnung bestätigten: An diesem Ort gab es keine Verteidiger. Außer drei halbwüchsigen Jungen, die sich ihnen in ihrer Verzweiflung mutig entgegengestellt hatten, waren unter den Leichen keine Krieger.
Maßloser Zorn erfasste ihn, und er stampfte mit dem Fuß in den weichen Sand des Ufers, sodass sich im feuchten Untergrund eine Kuhle bildete. Was sollte er mit seiner vermeintlichen Beute anfangen? Die lange vorbereitete Aktion hatte zu nichts geführt. Er hatte versagt – wie schon einmal vor vielen Jahren in einer anderen Welt.
Und er schwor sich, dass er nie mehr scheitern würde.
Da sah er es: Ein junges Mädchen, kaum älter als ein Kind, grazil und feingliedrig, mit glatten schwarzen Haaren, die ihm in langen Bahnen über den nackten Rücken bis zu den Schenkeln reichten. Die kleinen, festen Brüste der Heranwachsenden wurden nur teilweise von einer großen Muschelkette bedeckt und wippten bei jeder ihrer anmutigen Bewegungen auf und ab. Außer dem kurzen, mit Ornamenten bedruckten Lendenschurz, der um ihre schlanken Hüften gebunden war,  trug dieses schöne Geschöpf ansonsten nichts weiter an ihrem begehrenswerten braunen Körper.
Eine heillose Wut stieg in ihm auf, weil der Rachefeldzug in der Wildnis erfolglos geblieben war. Bevor er von hier fortginge, musste er für seine aufgestauten Gefühle noch ein Ventil finden. Die gazellenhafte Schönheit erschien ihm hierfür das willkommene Opfer. Als Strafe würde er sich der jungen Frau bemächtigen und diese schänden.
Auf sein Zeichen hin hielt einer seiner Komplizen das sich heftig wehrende Mädchen fest. Ja, er weidete sich daran, wie die kleine Indianerin um ihre Freiheit bettelte und dann, als sie keinen Ausweg mehr sah, mit überraschender Kraft kämpfte, obwohl sie keine Möglichkeit hatte, von hier fortzukommen. Jedenfalls nicht, bevor er sie sich genommen hatte.
Rasch packte er die sich ihm widersetzende Wildkatze am Nacken und schob sie in Richtung des Feuers, um ihr Gesicht noch besser sehen zu können. In der Tat, was er vor sich sah, gefiel ihm. Die sonst so derben Indiofrauen sagten ihm gewöhnlicherweise nicht zu, aber die reinen Züge dieses unschuldigen Naturkindes waren etwas anderes. Wundervolle dichte Haare umrahmten ein schmales, formvollendetes Gesicht, dessen Anmut ihn sogleich gefangen nahm.
Er achtete nicht auf die schreckhaft geweiteten schwarzen Augen und die bebende Brust der Eingeborenen. Mit einem einzigen Stoß warf er das vor Furcht bebende Mädchen vor sich in den Staub und drängte sich gezielt auf ihren schlanken Körper, dessen Anblick ihn zutiefst erregte. An diesem hilflosen Kind würde er seinen ganzen aufgestauten Ärger über die misslungene Aktion auslassen. Ihr Schicksal wäre eine Warnung für alle anderen.
Grob schob er mit dem Knie ihre zitternden Beine auseinander und wunderte sich über die verzweifelte Gegenwehr, deren Stärke er nicht erwartet hatte. Sie musste doch einsehen, dass sie keine Chance hatte!
Den Sand, den ihm ihre kleine Hand als letzten Verzweiflungsakt in die Augen streuen wollte, wehrte er ab, indem er ihr erbarmungslos auf den Arm schlug. Doch als ihn ein Stein am Hinterkopf traf, kannte er kein Erbarmen mehr.
Brutal nahm er sich die Indianerin, drang tief in sie ein, wobei sie wie ein verwundetes Tier schrie, und bestrafte sie auf diese Weise für den Wortbruch ihrer ganzen Sippe.
Nachdem er von ihr abgelassen hatte, widerte ihn ihr geschundener, verletzter Körper an, der unbeweglich wie ein Sack auf der aufgewühlten roten Erde lag. Überall auf ihrer zuvor makellosen Haut zeigten sich Spuren roher Gewalt. Um sie nicht mehr sehen zu müssen, stieß er sie wie ein Stück Dreck zur Seite in Richtung des Feuers. Dann spuckte er neben ihr in den Sand und verschwand mit seinen verbrecherischen Helfershelfern im Schutz des dunklen Waldes. Sie  hinterließen ein einziges Feld der Verwüstung und des Grauens.
Von diesem Tag an lebte er in der Erinnerung der Amazonasindianer als
»OCarniceiro«, der Schlächter, fort.